Als das Angebot von Intendant Markus Hinterhäuser kam, die Aida in Salzburg zu inszenieren, war ihr erster Gedanke: „Er muss doch verrückt sein“, sagt Shirin Neshat. Je mehr die bildende Künstlerin aber darüber nachdachte und je tiefer sie in die Materie eintauchte, umso klarer sei ihr geworden, warum er sie gefragt habe. Die Dramaturgin und Moderatorin des TerrassenTalks, Bettina Auer, stimmt ihr zu, es sei ein folgerichtiger Schritt ins nächste künstlerische Metier einzutauchen, denn Shirin Neshat ist eine Künstlerin, die sich immer gewandelt habe. Angefangen in der Fotografie ging die im Exil lebende Iranerin weiter zu Videos und ist nun bei der Inszenierung einer Oper angekommen. „Ich bewundere Markus für das Vertrauen, das er in mich setzt und für seinen Mut mich zu engagieren“, sagt Shirin Neshat. „Am Anfang hatte ich sicherlich ein bisschen Angst, aber ich habe mich der Herausforderung gestellt. Sowohl in der Arbeit als auch in meinem Privatleben gibt es diese Dichotomie zwischen dem Frausein und der politischen Tyrannei und Unterdrückung“, sagt Shirin Neshat.
„Ich identifiziere mich mit Aida“, sagt Shirin Neshat. Sie selbst sei als Unschuldige ins Exil geschickt worden, getrennt vom eigenen Heimatland, dem Iran, und von der Familie und den Liebsten. „Ich weiß, wie es sich für Aida anfühlen muss, man macht einen Prozess durch, man merkt, dass man weitermachen kann, sich neu verlieben kann, sich an die Umstände anpassen kann.“ Aida sei eine Überlebende, sie durchlaufe Phasen der Nostalgie, der Wut, der Hoffnung auf Rückkehr, bis hin zur Akzeptanz, dass es kein Zurück mehr gibt. Sie lebe mit einer ungelösten Situation weiter. „Manchmal sind die Grenzen fließend zwischen Aida und mir“, sagt die Künstlerin.
Seit zwei Wochen laufen nun die Proben für die Aida. Wo für sie die Unterschiede liegen zwischen der bildenden Kunst und der Oper, möchte Bettina Auer wissen. „Es gibt natürlich viel mehr Vorgaben als wenn man Video macht“, sagt Shirin Neshat. „Man kann das Tempo oder die Geschichte nicht ändern wie in einem Drehbuch, aber man kann seine eigene Interpretation in diesen Grenzen finden.“ Mittlerweile gefallen ihr sogar diese Grenzen. Sie versuche eine Balance zu finden zwischen der Kraft der Oper, zwischen der Kraft der Geschichte und ihrer eigenen Lesart. Vor allem sei ihr wichtig, die Kritik zu integrieren, die viele Menschen aus der arabischen Welt bei dieser Oper empfinden. Viele würden die Oper sehr kritisch sehen, und einige Anmutungen fast schon als rassistisch empfinden. „Es ist meine Verpflichtung, diese Kritik anzunehmen und gleichzeitig die kraftvollen Momente der Oper aufrecht zu erhalten“, sagt Shirin Neshat. In Ihrer Inszenierung habe sie versucht, die Verhältnisse zu analysieren: Wer ist gut, wer ist böse, sie vermische die Kulturen miteinander, um die menschlichen Emotionen in den Vordergrund zu stellen. Bettina Auer ergänzt, Verdi sei ein sehr politischer Komponist gewesen, natürlich sei das dargestellte Ägypten dabei nur eine Folie. „Aber es ist eine zeitlose Geschichte, die wir da erzählen“, sagt die Dramaturgin. Es sei nie so richtig eindeutig, wer gut ist und wer böse, das schlage sich auch in den Kostümen nieder. Die Priester etwa, sagt Shirin Neshat, vereinen alle Religionen in sich. Sie wolle darstellen, dass am Ende alle zu Fanatismus fähig seien. Sie habe sich auch von syrischen Flüchtlingen inspirieren lassen, und sich bei der Darstellung der Äthiopier für zeitgemäße Kostüme entschieden.
Das größte Problem, das sie mit der traditionellen Darstellung der Aida habe, sei, dass die Oper zu unterhaltsam, zu kriegsverherrlichend und zu triumphal sei. Genau da, so ergänzt Bettina Auer, sei aber auch die Kunst eines so großen Komponisten wie Verdi. „Der Text im Libretto sagt – ‚wir wollen den Krieg‘ – immer und immer wieder. Aber Verdi verpackt es in eine so verführerische Musik“, sagt sie. Shirin Neshat wolle nun mit ihrer Inszenierung die menschliche Tragödie herausstreichen – dabei nutzt sie unter anderem Tänzer, die mit tierähnlichen Masken wie Geister wirken. Die Figuren auf der Bühne können sie nicht wahrnehmen, sie wirken übernatürlich und führen mit stilisierten Bewegungen durch die Welten der Ägypter und der Äthiopier. Sie sollen helfen die Tragödie der Aida herauszustreichen und nicht den Krieg zu verherrlichen.
Ein weiterer Aspekt sei für sie in der Oper vernachlässigt worden: nämlich die Frage, wie Aida ihr Volk sieht, das sehe man konkret eigentlich nur während des Triumph-Marsches. Shirin Neshat hat sich nun entschieden Videos einzusetzen, um unter anderem diesen Fakt zu verdeutlichen. So zeige sie während Aida singt, ein Video mit Bildern ihres Volkes, der Sklaven. Ein anderes Video wird während Radamès‘ geheimer Gerichtsverhandlung am Ende der Oper eingespielt, es zeige Bilder der Fanatiker, die Gewalt ausüben. Denn diese Verhandlung sei eine Scheinverhandlung, das Urteil wurde schon längst gesprochen. Diese Videos habe sie in Wien gedreht, mit syrischen und afrikanischen Flüchtlingen, aber auch mit Österreichern.
Die Frage, die am Ende dieser so tragischen Oper bleibt, ist: „Gibt es Hoffnung?“, sagt Bettina Auer. „Ich habe sehr lange über das Ende der Oper nachgedacht“, sagt Shirin Neshat. „Und ich finde es ist ein wundervolles Ende. – Denn am Ende steht der menschliche Entschluss von Aida und Radamès sich gegen die Regeln der Macht zu stemmen und in den Tod zu gehen. Es ist ein menschlicher Entschluss, ein menschliches Ende. Für mich gibt es ein Licht am Ende des Tunnels“, sagt die Regisseurin.
Libretto von Antonio Ghislanzoni nach einem Szenarium von Auguste Mariette
Nach dem Krieg ist vor dem Krieg. Denn ein Krieg folgt auf den anderen: Kriege zwischen Nachbarstaaten, zwischen Machteliten oder Potentaten, gern befürwortet und unterstützt oder gar betrieben von den geistlichen Anführern der verschiedenen Länder. Das erfordert natürlich Einsatz und Hingabe von den Untertanen sowie absolute Loyalität jedes Einzelnen mit den Staatsinteressen. Für individuelle Lebensentwürfe, eigene moralische Vorstellungen oder gar Gefühle ist da kein Platz. Stattdessen wird der (kleine) Mensch zwischen den unterschiedlichen Machtinteressen der Herrschenden zerrieben. Das ist eine Geschichte, die in Verdis Oper von Aida, Radamès und Amneris sowie ihren leiblichen wie geistigen Vätern, dem ägyptischen König (dem namenlosen), Amonasro und dem Oberpriester Ramfis, erzählt wird.
Eine andere handelt von unerbittlichen Familienkonstellationen, wie etwa die jüngere Generation unter den Folgen der elterlichen Entscheidungen und Taten zu leiden hat und schuldlos in (Gewissens-)Konflikte getrieben wird, die nicht zu lösen sind. Wen es am härtesten trifft, ist gar nicht auszumachen. Aida, die als Sklavin am ägyptischen Hof leben muss, weil sie die Königstochter aus dem feindlichen Äthiopien ist? Sie hat sich, gepeinigt von Schuldgefühlen, in den ägyptischen Heerführer Radamès verliebt und wird von ihrem Vater Amonasro instrumentalisiert, um die militärische Strategie des feindlichen Heeres in Erfahrung zu bringen. Oder ist es Amneris, die ägyptische Königstochter, die zwar mit allen Mitteln, aber vergeblich um ihre Liebe zu Radamès kämpft? Dabei versucht sie, ihre Rivalin Aida rücksichtslos kaltzustellen, und muss schließlich, in später Einsicht, feststellen, dass auch sie selbst einem gnadenlosen Machtkartell von Priestern und Kriegern ausgeliefert ist. Oder ist es der junge Radamès, der den väterlichen Autoritäten so perfekt, so erfolgreich dient, um schließlich beim Kampf um sein privates Glück ins Straucheln zu geraten und von denselben „Vätern“ mit dem Tode bestraft zu werden?
Aida ist Giuseppe Verdis drittletzte Oper – ihr folgten in großem Zeitabstand nur noch Otello und Falstaff nach Shakespeare. Dass Aida ihre erfolgreiche Uraufführung 1871 am damals neuen Opernhaus in Kairo erlebt hat, ist hinlänglich bekannt. Die zäh sich haltende Behauptung, sie sei zur Eröffnung des Suezkanals komponiert worden, ist jedoch falsch. Man hatte Verdi lediglich um eine feierliche Hymne gebeten, aber der lehnte ab. Er sei schließlich kein Komponist für „Gelegenheitsstücke“.
Initiatoren für Aida waren der ägyptische Khedive Ismail Pascha mit seinem Wunsch nach einem Werk, das auf rein ägyptischen Quellen basieren sollte, sowie der berühmte französische Archäologe Auguste Mariette, der vor der Abfassung des ersten Aida-Szenariums das halbe antike Ägypten ausgegraben hatte. Tatsächlich hat Verdi während der Vorbereitung auch Erkundigungen über ägyptische Geografie, religiöse Traditionen und antike Musikinstrumente eingeholt, was sich in den sogenannten „ägyptischen Trompeten“ niederschlug, die eigens für den berühmt-berüchtigten „Triumphmarsch“ entworfen wurden und vor allem optisch an altägyptische Instrumente erinnern. Wer Verdis Musik aufmerksam hört, weiß aber, dass es dem Komponisten nicht um musikalisierte Historie ging, sondern – wie in so vielen seiner Opern – um Kritik an einer menschenverachtenden Gesellschaft, diesmal eben im ägyptischen Gewande.
Aida sei „Verdis schönstes Werk“, schrieb der zeitgenössische Komponist Dieter Schnebel und pries ihre Musik als „ein warmes Humanum, welche das menschliche Leiden des Einzelnen wie der Vielen in Natur und Welt zur künstlerischen Utopie von tragischer Schönheit wie schöner Tragik überführt“.