Es war eine Premiere, die erste intensive Auseinandersetzung der Fondation Beyeler mit dem Medium Fotografie in Basel. In 200 fotografischen Arbeiten zeigte sie im Renzo Piano-Bau einen Werksquerschnitt des in Berlin und London lebenden Fotografen Wolfgang Tillmans. Der Künstler selbst kuratierte die Sommerausstellung zusammen mit Theodora Vischer (Senior Curator der Fondation Beyerle).
Seit den frühen 1990er-Jahren entwickelte Tillmans eine ganz eigene Form der Werks-Präsentation. Auf den ersten Blick irritierend, fügen sich seine figürlichen oder abstrakten Fotografien, in unterschiedlichen Höhen – neben- und übereinander positioniert –, zu einer präzise gestalteten Komposition zusammen. Ohne das Einzelbild im Arrangement zu relativieren, wird es von Tillmans als Teil einer Beziehung der Fotografien untereinander verstanden. Dadurch gelingt dem Künstler eine mehrdeutige Ordnung – ein Charakteristikum in seinen Rauminszenierungen. Neben abstrakten und politischen Arbeiten greift Tillmans in den Gezeigten drei traditionelle Genres auf: die Landschaft, das Stillleben sowie das Porträt. Dabei geht es ihm nicht um Fotografie im handwerklichen Sinne, sondern um das Schaffen eines Produktes des Seienden – eines Abbildes des Realen, als Momentaufnahme.
Das Porträt – Den Moment zur Kunst erhoben
Dieses Genre zieht sich als tragendes Motiv durch das gesamte Oeuvre Tillmans. Den Künstler interessiert das Verborgene, nicht Offensichtliche, das nicht Eindeutige einer Person: Verwundbarkeit, Anmut, Stärke, Fragilität und Ambivalenzen. „Obwohl ich weiß, dass die Kamera lügt, halte ich doch fest an der Idee von der fotografischen Wahrheit.“, so Tillmans. Die Porträts, seine „fotografische Wahrheit“ von Freunden, flüchtigen Bekannten oder Prominenten fassen das Subjektive und sind ein Anachronismus auf die vermeintliche Schönheit des Individuums in der heutigen Medienlandschaft – ein künstlerischer Gegenentwurf. Dabei lehnt er einen vorgefertigten Schönheitsbegriff ab und definiert ihn für sich neu, scheinbar vorbehaltslos ohne Inszenierung, z.B. durch inszenierte Lichtführung. Tillmans porträtiert das jeweilige Umfeld als Gesamtkomposition mit und löst die Person nicht aus diesem heraus. Stellvertretend dafür steht die Fotografie „Eugen, Between Bridges“ aus dem Jahre 2015 in der Ausstellung. Im Zentrum des Bildes sitzt ein in Lederstiefeln gekleideter Mann in einer Zimmerecke. Auf seinen leicht angewinkelten Beinen notiert er etwas auf seinen Block ohne darauf zu schauen. Sein Blick geht geradeaus und trifft direkt auf den Betrachter, als könne er die Gedanken und Worte des Betrachters notieren. Die dargestellte Handlung geht somit über den begrenzenden Rahmen des Bildes hinaus und bezieht den Betrachter mit ein und erhebt den dargestellten Moment zur Kunst.
Es stellt sich die Frage, ob dieses Bild überhaupt ein zeitgenössisches Porträt ist. Nicht Tillmans formuliert diese, sondern der Betrachter, der diese Fotografie für banal halten könnte. Entdeckt er jedoch die eigentliche Frage, jene nach dem Subjekt und Nonkonformen in der heutigen Gesellschaft, erhalten die Porträts des Künstlers eine tieferliegende Dimension. „Als ich 1990/1991 begann, meine Porträtarbeit genauer zu bestimmen, wollte ich meine Gefühle für meine Zeitgenossen allgemein wie auch für eine einzelne Person zum Ausdruck bringen“, so Tillmans. Mit seinen Fotografien von Freunden aus der Kunst-, Popkultur- und homosexuellen Szene porträtiert der Künstler ein Stück seiner eigenen Lebenswirklichkeit. In seinen Körperansichten, wie z. B. „unscharfer Rückenakt“, die als Sonderform des Porträts angesehen werden können, geht es ihm weniger um die anstößige Nacktheit, als vielmehr um den objektiven Umgang mit dieser als Prinzip der Freiheit und Normabstinenz. Sexualität und Erotik stellt er daher in einer selbstverständlichen Natürlichkeit dar.
Das Stillleben – Der richtige Moment unterliegt der Zeit
Ein weiteres werkprägendes Sujet im Oeuvre ist das Stillleben, als Abbild von Zeit und Vergänglichkeit. Zwischen Objekt, Ort und Zeit besteht ein dialogisches Prinzip. Eine fast schon symbiotische Harmonie. Doch diese ist von Tillmans arrangiert und das Ensemble – das lebende Stillleben – sich selbst überlassen. Über Monate und Jahre hinweg, bis zum „richtigen“ Moment, in welchem Tillmans das Szenario als Aufnahme dessen festhält. Durch die teilweise stark vergrößerten Abzüge seiner Fotografien ist es dem Betrachter möglich, Beschaffenheiten der dargestellten Objekte zu studieren. Der Künstler zeigt somit mehr als nur das Gewohnte – zigmal Gesehene. Er bricht die Banalität des Szenarios und lädt zum Studium einer vermeintlich alltäglichen Plattitüde zwischen Kürbissen, aufgeschnittenen Kiwis und ausgedrückten Zigarettenstummeln in einem Aschenbecher ein. Letztlich porträtiert er damit wieder – den Verlauf der Zeit, welche sich im Dargestellten manifestiert.
Die Landschaft – Um die Welt zu entdecken
Als Sonderform des Stilllebens kann in Tillmans Werk die Landschaft betrachtet werden. „Ich mache Bilder, um die Welt zu erkennen.“ Mit diesem Anspruch an das eigene Werk fordert sich Tillmans selbst heraus. Er sucht in seinem Schaffen nach einem subjektiven Wahrheitsbegriff in der Welt, die er fotografisch entdeckt und festhält. Alle drei traditionellen Genres haben, wie auch in seinen experimentellen Arbeiten (z. B. „Xerox“, „Icestorm“ sowie die Werkgruppe „Freischwimmer“), einen gemeinsamen Nenner: die Beschäftigung mit dem Thema Licht; sei es künstlich oder natürlich.
Diese traditionellen und fast schon romantisch anmutenden Motiven Tillmans ergänzte die Fondation Beyeler Basel durch Arbeiten mit einem anderen Themenkanon: dem politischen Engagement des Künstlers. Wie die drei beschriebenen Genres, ist auch die politische Position ein grundlegendes Thema in seinen Arbeiten. Tillmans deutet auf Missstände hin, porträtiert Orte des Widerstandes oder Aktivisten. Stellvertretend dafür zeigt u.a. die Ausstellung die Fotografie „Black Lives Matter protest, Union Square, b“, aufgenommen während einer Protestaktion in New York. Die dem Betrachter entgegengestreckte Hand, als Protestgeste unter der Parole „Hands up, dont’t shoot“, verweist auf die Ermordung des afroamerikanischen Schülers Michael Brown. Dieser erhob die Hände, um dem Polizisten zu zeigen, dass er unbewaffnet war. Doch der Beamte schoss.
Betrachtet man die Ausstellung in der Fondation Beyeler in Basel als Gesamtes, so ist es ein vielschichtiges Porträt unserer Gesellschaft, welches Sehgewohnheiten in Frage stellt und den Betrachter zu einer eigenen Position herausfordert. Tillmans teils experimentelle Arbeiten sind nicht gefällig. Sie sind sperrig, verlangen nach einem Blick hinter die „Fassade“ des flüchtig Gesehenen – des vermeintlich Banalen, wie der Faltenwurf eines T-Shirts – und inszenieren den Raum um den Betrachter herum. Die Interaktion zwischen Bild und Rezipient ist das Glanzstück Tillmans, welches den Moment zur Kunst erhebt.
FONDATION BEYELER
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Text: ZeitBlatt / Andre Biakowski
Photo: Wolfgang Straßer
Redakteur: Andre Biakowski