INTERVIEW KRISTOFFER BORGLI

INTERVIEW KRISTOFFER BORGLI

Kristoffer Borgli ist ein norwegischer, in LA lebender Autor und Regisseur. Seine zahlreichen Kurz- und Langfilme wurden auf Festivals wie den Internationalen Filmfestspielen Cannes, dem Sundance Filmfestival und bei SXSW gezeigt.

Aktuell dreht Borgli seinen zweiten Spielfilm zusammen mit A24 und Nicholas Cage in der Hauptrolle.

Was hat dich dazu inspiriert, einen Film über eine dysfunktionale, toxische Beziehung zu drehen – eine „unromantische Komödie“, wie du es genannt hast?

Als ich angefangen habe, das Drehbuch zu SICK OF MYSELF zu schreiben, habe ich mich erst auf die Figur und den Charakter von Signe konzentriert, da war ihre Beziehung für die Geschichte des Films noch nicht relevant. Doch im Laufe des Prozesses habe ich mich immer mehr für ihren Freund Thomas interessiert. Es wurde plötzlich klar, dass die Dynamik zwischen den beiden das Rückgrat der Geschichte war, dass die Motivation für ihre Handlungen oft durch ihre konkurrierende Beziehung ausgelöst wird.

Ich wusste von Beginn an, wohin die Geschichte führen soll, ich wusste aber noch nicht, wie ich dahin komme. Ich wollte, dass der Film in der realen Welt spielt, in einem sozialen Umfeld, das ich so in Oslo schon oft beobachtet habe. Dass die Hauptfigur im Endeffekt so weit geht, hat es schwieriger gemacht, das ganze glaubwürdig darzustellen. Jede Abzweigung des Charakters wurde zu einer Herausforderung. Der Zuschauer muss jeden weiteren schrecklichen Schritt mit ihr gehen.

Warum hast du dich für Kristine Kujath Thorp als Hauptdarstellerin entschieden, und wie hat sie
dazu beigetragen, den Charakter von Signe zu formen?

Ich hatte großes Glück, dass ich Kristine für diesen schwierigen Charakter gewinnen konnte, der erst durch sie richtig zum Leben erweckt wurde. Es ist eine kraftvolle und psychologisch komplexe Rolle, ie sowohl komödiantisches Timing und extremes körperliches Geschick erfordert. In der Vorbereitungsphase haben wir eine Art Doppel-Schauspiel entwickelt: Wie stellt man jemanden dar, der nie sein wahres Ich zeigt? Signe lügt ständig, sie versucht bescheiden zu wirken, obwohl sie es gar nicht ist und sie schlüpft in sozialen Situationen immer in eine Art Rolle.

Jemanden zu spielen, der selbst immer schauspielert, ist ein schwieriger Akt der Balance, den Kristine wirklich, wirklich gut gemeistert hat. Und dann gab es da noch all diese körperlichen Elemente, wie sich ihr Körper auf seltsame, schreckliche und manchmal komische Weise verhält. Die Proben fühlten sich manchmal wie die Vorbereitung auf eine peinliche Tanzshow an. Irgendwann haben wir sogar versucht, durch leichte Elektroschocks unerwartete körperliche Regungen zu erzeugen, aber das war wirklich eine sehr schlechte und schmerzhafte Idee von uns.

Wie lief der Prozess und die Arbeit zu Signes physischer Transformation ab – Signes Gesicht hatja eine große Rolle im Film?

Das prothetische Make-up ist so wichtig für den Film, dass ich Izzi Galindo, unseren brillanten
Designer, als einen der Stars des Films betrachte. Wir verbrachten viele Monate mit der Gestaltung der verschiedenen Stadien der Verwandlung von Signe, mit dem Ziel etwas zu schaffen, das sowohl
schockierend und schön ist. Unsere Zusammenarbeit hat so viel Spaß gemacht, dass wir, als die Produktion von SICK OF MYSELF wegen Covid-19 verschoben werden musste, einen Kurzfilm mit einem komplett anderen Thema gedreht haben – er trägt den Titel EER und ist kostenlos auf YouTube verfügbar.

Ich glaube, wir sind beide fasziniert von dem Gefühl, was ein verändertes Gesicht oder ein veränderter Körper auslösen kann. Wir haben versucht, die Grenze zu finden, an der die Dysmorphie
ansprechend und schockierend zugleich ist. Als wir mit der Vorproduktion begonnen haben, mussten wir feststellen, dass es in Norwegen nicht wirklich Firmen gibt, die Izzi für seine Art von Arbeit gebraucht hätte. Also haben wir schlichtweg eine Prothesenfabrik in einem kleinen Vorort von Oslo aufgestellt, in dem er und ein paar Assistenten Tag und Nacht gearbeitet haben, um die Anforderungen des Projekts zu erfüllen. Es war wirklich unglaublich und ich glaube, niemand ausser Izzi hätte das schaffen können oder überhaupt gewollt.

Für mich war es auch eine große Ehre, dass mein Film zusammen mit einen David Cronenberg Film (CRIMES OF THE FUTURE) auf den Filmfestspielen Cannes gelaufen ist, weil er eine meiner größten Inspirationen ist und mich erst in das Body-Horror Genre gebracht hat.

Was wolltest du noch in Bezug auf die Ästhetik erreichen? SICK OF MYSELF verbindet, scheinbar vollkommen mühelos, eine formale Eleganz mit den extremen Aspekten des Films.

Ein passendes Zitat wäre hier: „Ich mag schöne Melodien, die mir schreckliche Dinge erzählen.“
Ich wollte diese etwas unbequeme Geschichte auf die schönste Weise einfangen. Ich wollte sie in den schönen Sommern, die wir in Oslo haben, drehen. Ich wollte, dass es
so zeitlos wie möglich aussieht und sich auch so anfühlt, um die sehr moderne Geschichte auszugleichen, aber auch um auf die unsterbliche Relevanz einiger Themen wie Narzissmus und Eifersucht hinzudeuten. Deswegen haben wir z.B. auch auf 35mm gedreht und es gibt viel klassische Musik im Film – es ist ein schöner Film, der schreckliche Dinge zeigt.

Wie schaffst du die Balance zwischen Realität und Satire, Komödie und Tragödie?

Die Geschichte ist nicht einfach nur meiner Fantasie entsprungen, sondern hat sich aus Beobachtungen in meinem alltäglichen Leben ergeben, die ich dann als eine Komödie kuratiert habe. Ich hoffe, dass die Figuren vertrauter und realer werden, umso absurder und absurder die Geschichte selbst wird.

Ich habe anscheinend einen Faible für unbequemen Humor. Dinge, die sowohl schmerzhaft als auch lustig sind, bleiben mir im Gedächtnis. Ich hatte nicht die Absicht, einen bestimmten Ton zu treffen, sondern habe das Drehbuchnach meinem Empfinden immer weiter verfeinert, bis ich das Gefühl hatte, das ist etwas, das ich selbst gerne auf der Leinwand sehen würde.

Gibt es in dieser Geschichte gute und schlechte Menschen, oder sind alle gleich verachtenswert?

Ich glaube tatsächlich, dass man die Charaktere sehr gut nachvollziehen kann. Im echten Leben ist es nur so, dass die meisten Leute zu viel Schamgefühl und Selbstvertrauen haben, um so impulsiv zu handeln, wie es die Figuren im Film tun. Ich liebe es, wie die Fiktion uns die Möglichkeit gibt, die aufregende Missachtung moralischer Grenzen durch jemand anderen mitzuerleben, ohne dass wir uns selbst mit den Konsequenzen auseinandersetzen müssen.

Bei SICK OF MYSELF habe ich versucht, Figuren zu schaffen, denen man gut zuschauen kann, obwohl sie nicht wirklich sympathisch sind. Der Schriftsteller Saul Bellow hat mal gesagt: „Ein Gedankenmord am Tag hält den Psychiater fern.“ Das Zitat beschreibt meinen Wunsch, diese unangenehmen und teilweise schrecklichen Situationen durchleben zu können – allein durch den Film.

Moralisch gesehen lässt der Film die Untaten der Figuren nicht ungestraft. In diesem Sinne funktioniert die Geschichte auch als Parabel. Ich begrüße jede Interpretation des Films, und jeder hat ein Recht auf seine Meinung, aber für mich ging es darum, Humor in den dunklen Seiten des modernen Lebens und der Kultur zu finden.

Du bist in LA ansässig, aber SICK OF MYSELF wurde in Skandinavien produziert und gedreht. Wirst du weiterhin zwischen beiden Kontinenten arbeiten? Was steht als nächstes für Kristoffer Borgli an?

Ich habe immer noch das Gefühl, dass ich mich auf einem längeren Besuch in den USA befinde, und ich habe keinen klaren Plan, wo ich bleiben will. Ich habe ein Projekt in den USA, das noch in diesem Jahr gedreht wirdund das mich eine Weile hier halten wird. Aber da ich so tolle Erfahrungen bei den Dreharbeiten zu SICK OF MYSELF in Norwegen und Schweden gemacht habe, bin ich mir sicher, dass ich eine weitere Geschichte schreiben werde, die dort spielt.