Stuttgarter Kammerorchester als erstes deutsches Orchester klimaneutral

Stuttgarter Kammerorchester als erstes deutsches Orchester klimaneutral

Stuttgarter Kammerorchester. Markus Korselt, Geschäftsführender und Künstlerischer Intendant. Foto Wolfgang Schmidt

In diesen Tagen können wir gute Nachrichten gebrauchen – hier ist eine besonders schöne: Das Stuttgarter Kammerorchester erreicht als erstes Orchester in Deutschland die Klimaneutralität und übernimmt damit eine Vorreiterrolle bei der dringend gebotenen Neugestaltung der kulturellen Praxis hin zu mehr Nachhaltigkeit.

 

Der Umstellung ging eine grundlegende Analyse des Ist-Zustands voraus. Mit Hilfe einer spezialisierten Unternehmensberatung wurden sämtliche Aktivitäten des Orchesters ebenso in den Blick genommen wie der ökologische Fußabdruck der eingekauften Güter und Dienstleistungen. Sogar die CO2-Emissionen des Publikums wurden berücksichtigt. Die Evaluation startete im November 2021 und bescherte dem gesamten Team eine steile Lernkurve. Dazu Intendant Markus Korselt: „Was für eine Reise! Wir hätten nicht geglaubt, wie sehr uns dieser Prozess bewegt. Je tiefer wir in dieses Thema einstiegen, desto leidenschaftlicher wollten wir etwas verändern. Und natürlich hoffen wir, dass wir mit unseren Aktivitäten andere Kulturkolleg*innen ermutigen, sich für den Klimaschutz zu engagieren.“
Bei der Transformation ließ sich das Orchester von dem Vorsatz leiten: Vermeiden und Einsparen vor Kompensieren. Auf welch gutem Weg sich das Stuttgarter Kammerorchester dabei schon befand, hat die Verantwortlichen positiv überrascht. Denn viele bereits umgesetzte Maßnahmen und die konsequente Digitalisierungsstrategie haben zu einer spürbaren Reduktion der CO2-Emissionen geführt, darunter auch der Wechsel von Papiernoten zu Tablets. Ganz zu schweigen von einem Nachhaltigkeitstrumpf, der kaum zu toppen sein dürfte: Fast alle Instrumente, auf denen das Stuttgarter Kammerorchester spielt, sind über 100 Jahre alt …


Stuttgarter Kammerorchester. Foto Wolfgang Schmidt

Das Stuttgarter Kammerorchester auf dem Weg zur Klimaneutralität

Die Ausgangslage

Gegründet im „Jahr Null“ 1945 durch Karl Münchinger, wurde das Stuttgarter Kammerorchester zu einem legendären internationalen Kulturbotschafter der deutschen Nachkriegsgeschichte. Entsprechend gehört das Reisen und die interkontinentale Tourneetätigkeit zur DNA des SKO. Daran soll sich auch in Zukunft nichts ändern. Sehr wohl auf dem Prüfstand steht dagegen die Art des Reisens, die Wahl der Verkehrs- und Transportmittel sowie die Konzeption der Konzertformate.
In den Jahren 2022, 2023 und 2024 werden sich die CO2-Emissionen des SKO hochgerechnet auf jeweils 420 Tonnen belaufen. Der Bereich Veranstaltungen, der auch Mobilität und Übernachtungen umfasst, schlägt dabei mit 89 % am meisten zu Buche, gegenüber 10 % in der Verwaltung und 1 % im Management. Trotzdem ist klar: Neben dem direkten Konzertbetrieb, zu dem auch die Spielstätten und das Publikum zählen, gibt es reichlich weitere Stellschrauben, beispielsweise Produktion und Versand der SKO-Druckerzeugnisse, die Infrastruktur der Büros und nicht zuletzt die individuelle Anfahrt der Orchestermitglieder und Angestellten zu Proben, Konzerten und zu ihrem Arbeitsplatz.

Die Transformation

Wie gelang es dem Stuttgarter Kammerorchester, den neuen klimaneutralen Modus zu erreichen? Kurz gesagt: nicht durch die eine pauschale Strategie, sondern durch sehr viele, kleinteilige Maßnahmen. Sämtliche Arbeitsbereiche wurden auf umweltfreundlichere Alternativen hin abgeklopft. Stellvertretend seien hier die wichtigsten genannt:
Naturgemäß steht die eigene künstlerische Arbeit im Mittelpunkt aller konzeptionellen Überlegungen. Das SKO profitiert hier von dem Innovationsgeist, der in den vergangenen Jahren für wichtige kreative Impulse sorgte. So findet beispielsweise 2023 ein Hologramm-Konzert statt, bei dem das SKO und das Tschechische Nationalballett gleichzeitig in zwei Ländern auf unterschiedlichen Bühnen spielen, aber als Hologramm miteinander live verbunden sind.
Neue Wege geht das SKO aber auch in der musikalischen Praxis. Unterstützt durch das Förderprogramm ZUKUNFTSSTARK des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg, vollzieht das SKO als erstes deutsches Orchester den Wechsel von Papier auf elektronische Noten. Praktische Vorteile wie die ständige Verfügbarkeit der gesamten Notenbibliothek und vernetztes Arbeiten gehen mit der CO2-Einsparung einher.
Nicht vergessen wurden selbstverständlich auch die Bereiche Verwaltung und Logistik. Die Büroräume in der Stuttgarter Hasenbergsteige sind an das Fernwärmenetz des örtlichen Energieversorgers angeschlossen und werden zu 100 % mit Ökostrom versorgt. Die SKO-Publikationen werden auf Blauer Engel-Papier gedruckt und 
CO2-frei versandt. Das SKO unterstützt die Mitarbeiter*innen beim Wechsel auf umweltfreundliche Mobilität mit Job-Tickets für den ÖPNV sowie durch die Zusammenarbeit mit einem Fahrrad-Leasing-Programm. Eine Lademöglichkeit für Elektroautos ist vorhanden. Im Kontakt mit den Veranstaltungspartnern macht das SKO CO2-optimierte Veranstaltungsräume konsequent zum Thema und unterstreicht so die Marktnachfrage. Last but not least berechtigen die Eintrittskarten für die eigenen Konzerte des SKO zur Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs. Die Anfahrt des Publikums, zu Hause in Stuttgart wie auf Tour, wird zudem in die Rechnung für die CO2-Kompensation mit einbezogen.

Die Kompensation

Neben diesen vielfältigen Maßnahmen setzt das Stuttgarter Kammerorchester auf die Kompensation für die verbleibenden, nicht zu vermeidenden CO2-Emissionen. Und weil das Orchester, wie Intendant Markus Korselt sagt, „auf altem Holz spielt“, ist Aufforstung das „Instrument“ der Wahl. Das SKO hat sich ein Programm in Guanaré (Uruguay) ausgesucht, das nach den höchsten Standards Verified Carbon Standard (VCS) und Climate, Community and Biodiversity Standards (CCBS) zertifiziert ist.
Zusätzlich zu der testierten Kompensation in Südamerika leistet das SKO einen positiven Beitrag zum Klima in seinem Heimatbundesland. Für die Jahre 2022 bis 2024 pflanzt das SKO gemeinsam mit der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald Baden-Württemberg einen jungen Baum pro Tonne 
CO2, insgesamt 1.260 Bäume. Die symbolträchtige Pflanzaktion ist für Herbst 2022 geplant – eine gesonderte Presse-Information folgt.
Darüber hinaus wird das SKO seine Emissionsprognosen künftig jeweils im ersten Quartal des Folgejahrs überprüfen und bei Bedarf nachkompensieren.