Solo-Ausstellung HANNAH PARR – Hidden home

Solo-Ausstellung HANNAH PARR – Hidden home

Hidden home – Betritt man die Ausstellungshalle, befindet man sich in einem riesigen Wohnraum, jedenfalls auf den ersten Blick. Ein Doppelbett in der Mitte, ein Bügelbrett, drei monumentale Bilder an der Rückwand, wie Fenster, zwei kleinere an einer Seitenwand ­– fast alles rot-weiß, zersplittert, gebrochen, fragmentiert. Und eine blonde Perücke auf einem Sockel. Scheinbar jedenfalls. Doch dazu später. 


Hannah Parr, an der Südküste Englands aufgewachsen, lebt und arbeitet in Zürich. Ihre mosaikartigen Arbeiten stellt sie mit, in der Schweiz gebräuchlichen, rot-weiß gestreiften Baustellen-Absperrlatten her bzw. mit Teilen derselben. Auch die drei monumentalen rot-weißen Mosaike an der Rückwand der Ausstellungshalle bestehen aus solchen Fragmenten. Die zunächst rein abstrakt erscheinenden Mosaike zeigen drei radikal abstrahierte Landschaften – links eine fiktionale, in der Mitte eine erinnerte, rechts eine reale.

Das fiktionale Hochformat auf der linken Seite zeigt abstrahiert und fragmentiert ein Interieur mit Tisch, Vase, einer drapierten Decke und Blick aus einem Fenster auf eine Landschaft mit Feldern. Das Querformat in der Mitte bildet eine schroff abfallende Klippe ab, Meer und Himmel, eine erinnerte Kindheitslandschaft der Künstlerin. Das Hochformat rechts daneben ein steil aufragendes wirkliches Alpenmassiv, über dessen Höhengrad sich eine Wolke schiebt. Diese Abbildungen sind so abstrahiert, dass immer auch andere Lesarten möglich sind. So könnte die drapierte Decke des Interieurs auch Felder aus der Vogelperspektive darstellen. Fast immer bestehen die Arbeiten aufgrund der vielen Holzteile aus Schichtungen, ebenso wie die südenglischen Klippen aus den Kindheitserinnerungen der Künstlerin oder die Schweizer Berge, von denen Parr bei ihrer Arbeit täglich umgeben ist.

In der Mitte des Raums steht ein gusseisernes Bett, auf dessen Rost ebenfalls Lattenteile montiert sind, so dass auch dieses von einem Mosaik bedeckt wird. Nicht weit vom Bett ein Bügelbrett, ebenfalls mit Mosaik. Auf einem Sockel, wie auf einem Beistelltisch, ein rundes Akkuladegerät, an dem, wie bei einer Perücke, blonde Kunsthaare befestigt sind. Das Ladekabel mit Stecker hängt vom Sockel frei herab in der Luft. Wie schon das Bett und das Bügelbrett verweisen die Haare auf menschliche Gegenwart. Das Bügelbrett könnte auf Arbeit, Ordnung und Kontrolle verweisen, das Bett hingegen auf Träume, „Unordnung“ und Nacht. Auch dies jedoch nicht eindeutig, denn die Künstlerin erklärt, sie könne im Bett nicht nur träumen, sondern vor allem „klar denken“.

In eine Seitenwand der Halle ist ein Feuernotfallschrank aus Metall eingelassen. Kein reiner Wohnraum also, wie man auf den ersten Blick vermuten könnte, sondern auch industriell oder gewerblich anmutende Elemente. Hinter den Türen des Notfallschrankes aber weder Schlauch noch Feuerlöscher, sondern ein Föhn und Holzscheite, Utensilien also, ein Feuer anzufachen, nicht zu löschen. Ein Feuerlöschschrank als Kamin und Feuerstelle. Heimelig und bedrohlich zugleich.

Fotos: Marcus Schneider

Was ist das für eine konstruierte und dekonstruierte, was für eine heimelige und doch auch fremde, für eine gewohnte, aber auch irritierende Welt? Was ist das für ein hidden home? Schon der Ausstellungstitel deutet auf Ambivalenz und Contradictiones in Adiecto hin, auf Widersprüche in sich. Ein Zuhause zwar, aber ein verstecktes. Nah und fern zugleich. Zugänglich und versperrt.

Das Material, Absperrlatten, kommt sonst nur in der Öffentlichkeit zum Einsatz und im Außenbereich. Die Latten dienen der Abgrenzung, aber auch der Warnung vor Gefahr. Parr versetzt dieses Material von der Straße ins Private. Dieses, im Wortsinn, sperrige Material dient Parr zur Konstruktion einer Heimstatt, die Archetypisches und Unbekanntes verbindet. Gleichzeitig konstruiert und dekonstruiert, zeigt uns die Künstlerin ein Heim, das uns einerseits wie gewohnt und gewöhnlich umgibt, das aber andererseits auch auf ein Heim in uns selbst verweist, oder eine Sehnsucht danach, und auf ein Heim jenseits unserer Wirklichkeit. Auf eine Terra incognita. Einen Traum? Das zentral positionierte Bett könnte darauf hindeuten. Oder eine Utopie? Die großen Mosaike scheinen den Raum zu einer unbekannten Außenwelt zu öffnen – allerdings mit Absperrlatten! Contradictio in Adiecto.

Terra incognita nannten die Europäer im 15. und 16. Jahrhundert die noch nicht von ihnen „entdeckten“ oder kartographierten Gebiete. Man begab sich auf die Suche nach „neuen Welten“. Im 19. Jahrhundert kam die Erkundung des – als „Seele“ bezeichneten – „inneren“ Ichs hinzu, Psychoanalyse genannt. Seelenzergliederung. Ähnlich jener Entdeckungsfahrten ins Unbekannte und Unterbewusstsein, „zeichnet“ Hannah Parr mit tausenden von Holzstückchen ihre eigene Suche auf. Dabei kartographiert sie die Außenwelt und ihr eigenes Inneres in künstlerisch transformierter Nachfolge der Entdecker von Landmassen und Unbewusstem. Mit ihren an Holzflöße erinnernden Mosaiken kreuzt Hannah Parr – um im Bild zu bleiben – zwischen Fluxus und Surrealismus. Nach Landung an unbekannter Küste folgt sie möglicherweise nicht unähnlichen Fährten wie eine Mary Bauermeister oder Meret Oppenheim. Dabei kommt es nicht darauf an, das Land zu erobern. Wichtig bleibt allein die Suche selbst.

Die Herstellung der großen Holzmosaike ist ein langsamer und lange andauernder Prozess, für Parr eine Reise ins Unbekannte, aber auch ein rebellischer Akt gegen die allgegenwärtige Beschleunigung. Ausgangspunkt dabei mögen vertraute Bilder sein, der Weg aber und das Ziel sind ihr nicht bekannt. Während des Arbeitsprozesses ist die Künstlerin äußerst fokussiert und ganz bei sich. Insofern gleicht die künstlerische Arbeit ihrerseits einem Zuhause, einem Ort, an dem man zu sich selbst findet und eins mit sich wird – Identität gewinnt. Dies bleibt allerdings ein jederzeit widersprüchlicher Vorgang. Mit Fragmenten gegen die Fragmentierung. Eins mit sich, unter tausenden von Teilen, die zusammen wiederum ein unbekannt-bekanntes Ganzes geben, eine Terra incognita und ein Vertrautes. Ein Heim. Verdeckt. Versteckt. Immer innen und außen zugleich. Ganz wie wir selbst.

Fotos: Marcus Schneider