Dmitri Schostakowitsch – Lady Macbeth von Mzensk

Dmitri Schostakowitsch – Lady Macbeth von Mzensk

Salzburger Festspiele "Lady Macbeth von Mzensk"
Oper in vier Akten von Dmitri Schostakowitsch (Urfassung 1930-1932) Musikalische Leitung: Mariss Jansons, Regie: Andreas Kriegenburg, Bühne: Harald B. Thor, Kostüme: Tanja Hofmann, Licht: Stefan Bolliger, Dramaturgie: Christian Arseni, vorn v.l.: Nina Stemme (Katerina Lwowna Ismailowa), Brandon Jovanovich (Sergej), Copyright (C) Thomas Aurin

Oper in vier Akten (Urfassung 1930-1932)
Libretto von Alexander Preis und Dmitri Schostakowitsch nach der gleichnamigen Novelle (1865) von Nikolai Leskow

Neuinszenierung
In russischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

ZUR PRODUKTION

„Ihr habt kein Recht, über mich zu richten“

„Niemand drückt seine Lippen auf meine, niemand streichelt meine weiße Brust, niemand erschöpft mich mit leidenschaftlichen Liebkosungen“: Katerinas großer Monolog im dritten Bild von Lady Macbeth von Mzenskspricht eine klare Sprache. Und Schostakowitsch kleidet die Worte in Musik, die uns die Sehnsüchte dieser Frau eindringlich nahebringen. Seitdem Katerina mit dem Kaufmann Sinowi Ismailow verheiratet ist, bestimmen Leere, Einsamkeit und emotionale Kälte ihr Leben. Nikolai Leskow siedelt die Erzählung, auf der die Oper basiert, fern der großen Städte im Landkreis Mzensk an: Hier herrschen provinzielle Enge und stete Gewaltbereitschaft, und die Männer verfügen über die Frauen. Katerina muss ihrem kümmerlichen Gatten ebenso zu Diensten sein wie dem tyrannischen Schwiegervater Boris.
Zum Zeitpunkt ihres sehnsüchtigen Monologs hat sie bereits Sergej, den neuen Arbeiter, kennengelernt, und zwar von seiner rohesten Seite: Wäre Katerina nicht eingeschritten, er hätte unter Anfeuerung seiner Kameraden die Köchin Aksinja vielleicht vergewaltigt. Doch Sergej ist attraktiv und ein Draufgänger. Während Sinowi geschäftlich unterwegs ist, sucht er nachts Katerina auf, und es fällt ihm nicht schwer, ihren anfänglichen Widerstand zu überwinden: Greifbarer ist ein Liebesakt nie in Musik umgesetzt worden.
Für Katerina ist Sergej, dessen berechnenden Aufsteigerehrgeiz sie übersieht, schon bald mehr als ein leidenschaftlicher Liebhaber. Die Gefühle, die sie ihm entgegenbringt, bilden auch einen Fluchtort, eine utopische Gegenwelt, die zwangsläufig mit ihrer Lebenswirklichkeit kollidieren muss. Aus einem instinktiven, nur zu menschlichen Befreiungsimpuls heraus begehrt Katerina nun aber gegen ihre Unterdrücker auf. Umgeben von Brutalität, greift sie dabei selbst auf brutale Mittel zurück und geht bis zum Äußersten: zum Mord an ihrem Schwiegervater, dann auch an ihrem Ehemann.
Dies wird Katerina den Namen „Lady Macbeth von Mzensk“ einbringen. Aus der Gleichsetzung mit Shakespeares skrupelloser Verbrecherin spricht jedoch allein der Blick von außen. Während Leskows Erzähler seiner Titelfigur gegenüber ambivalent bleibt, hat Schostakowitsch mehrmals geäußert, worum es ihm ging. So schrieb er in einem Artikel, der Ende 1932, kurz vor Vollendung der Oper, erschien, er verstehe die Geschichte als „tragische Darstellung des Schicksals einer talentierten, klugen und hervorragenden Frau, die zugrunde geht unter den schrecklichen Bedingungen des vorrevolutionären Russland“.  Man mag in der historischen Konkretisierung, dem Hinweis auf vorrevolutionäre Zustände ein Zugeständnis an die stalinistische Kulturideologie sehen; als Kern der Aussage bleibt die gesellschaftliche Kontextualisierung: der Täter als Opfer seiner Lebensbedingungen.
In einer Oper musste diese Relativierung, die auch eine Relativierung des moralischen Urteils ist, natürlich vor allem hörbar werden. „Es lohnt sich nicht, lange darüber zu streiten, wie ich alle diese Verbrechen rechtfertige“, so Schostakowitsch 1934, „weil das bei weitem stärker durch das musikalische Material geschieht.“ Ist „rechtfertigen“ ein zu starkes Wort? Wie auch immer: Mit echter Empathie begegnet der Komponist im Grunde nur Katerina und – im vierten Akt – den Gefangenen, die mit ihr gemeinsam auf dem beschwerlichen Weg nach Sibirien in die Zwangsarbeit sind. Die anderen Figuren hingegen werden in demaskierender, oft greller Überzeichnung dargestellt, auch Gruppen wie die Polizei, die als stumpfsinnige Vertreterin der Staatsgewalt abgründig karikiert wird. In der Bezeichnung von Lady Macbeth von Mzensk als „Tragödie-Satire“ hat Schostakowitsch diese musikalischen Gegensätze auf den Punkt gebracht.
1934 uraufgeführt, wurde die Oper des jungen Komponisten zu einem sensationellen Erfolg, auch bei den meisten Kritikern. Im Jänner 1936 aber besuchte Stalin eine Aufführung, und wenige Tage später wurde das Werk in der Prawda in Grund und Boden vernichtet. Dass es in der Zwischenzeit auch im westlichen Ausland Furore gemacht hatte, schien seine volkserzieherische und künstlerische Wertlosigkeit nur zu bestätigen: Lady Macbeth von Mzensk war der Partei zu gefährlich und wurde umgehend verboten. Für Schostakowitsch selbst sollten die Dinge nie mehr so sein, wie sie einmal waren.