Dank besonders engagierter Freund*innen der Berlinischen Galerie konnte das Aquarell „Theaterloge (Der Tenor)“ (1927) von Jeanne Mammen erworben werden. Das Landesmuseum freut sich sehr über den Neuzugang für seine Grafische Sammlung.
„Es ist uns eine große Freude, dass es dank mäzenatischer Unterstützung gelungen ist, dieses besondere Werk für die Sammlung zu erwerben“, Jens-Rainer Jänig, Vorstandsvorsitzender des Fördervereins. „Auch wenn unser Museum seit Kurzem einen Ankaufsetat besitzt, ist dieser dem Erwerb von Gegenwartskunst vorbehalten. Möchten wir ein Werk der Klassischen Moderne ergänzen, sind wir weiterhin auf großzügige Förder*innen und Spender*innen angewiesen“, so Dr. Thomas Köhler, Direktor der Berlinischen Galerie. Nach der erfolgreichen Jeanne Mammen-Retrospektive im vergangenen Jahr haben wir nach Möglichkeiten gesucht, unsere Bestände zu dieser großartigen Künstlerin zu erweitern. Das Aquarell „Theaterloge (Der Tenor)“ ergänzt die Mammen-Werke der Berlinischen Galerie vortrefflich: Das Blatt stellt ein schönes Pendant zu unserer „Rothaarigen“ dar, die – 1928 im „Ulk“ veröffentlicht – ebenfalls zu den wenigen erhaltenen malerischen Aquarellen der zweiten Hälfte der 1920er Jahre zählt“, sagt Dr. Annelie Lütgens, Leiterin der Grafischen Sammlung der Berlinischen Galerie. Provenienz Die „Theaterloge“ wurde 1971 in der Galerie Brockstedt in Hamburg und dann bei Valentien in Stuttgart ausgestellt. In Stuttgart wurde das Aquarell 1971 erworben – von einem Soloflötisten beim Sinphonieorchester des Süddeutschen Rundfunks und Professor für Querflöte an der staatlichen Musikhochschule Stuttgart. Da er auch bei sich zu Hause unterrichtete, kam eine ganze Generation von Musikschüler*innen mit Mammens-Werk in Kontakt. Die Schülerin, die von dem Bild besonders beeindruckt war, war Frau Prof. Wally Hase. Sie war es, die den Besitzer auf die Jeanne Mammen-Aussellung in der Berlinischen Galerie letztes Jahr aufmerksam machte. Eigentlich blickten die Musikschüler*innen auf eine Reproduktion, denn der kluge Kunstliebhaber hatte eine Kopie in gleicher Größe über das Motiv gelegt, um die Farben dauerhaft vor Licht zu schützen. Mit Erfolg: Heute noch wirkt „Die Theaterloge“ wie frisch entstanden. Von der großen Jeanne Mammen-Ausstellung 2017/18 in der Berlinischen Galerie begeistert, bot der Sohn (des inzwischen verstorbenen Besitzers) dem Museum das Blatt zum Verkauf an, erbat sich aber eine qualitätvolle Reproduktion, die er inzwischen erhalten hat. In Berlin war „Die Theaterloge“ bisher nie ausgestellt. Das ändert sich jetzt: Seit dieser Woche ist das Werk in der Sammlungspräsentation der Berlinischen Galerie zu sehen.
Jeanne Mammen, Theaterloge (Der Tenor), 1927
An der Brüstung einer Theaterloge stehen eine Frau und ein Mann. Sie ist gertenschlank, trägt ein ärmelloses schwarzes schlichtes Abendkleid, eine duftige Stola ist ihr von den Schultern geglitten. Die schlanken Finger ihrer linken Hand berühren ganz leicht die Brüstung, die andere hält eine kleine Abendtasche und ist unter den Stoffwolken der Stola kaum zu erkennen. Mit ihren zu Schlitzen verengten stark geschminkten Augen, dem schmalen roten Lippen und ihrem kurzen Haar, das wie eine glänzende Kappe am Kopf anliegt, ist diese junge Dame ein typische Geschöpf der 1920er Jahre, wie sie Jeanne Mammen immer wieder ins Bild gesetzt hat. Und wie so oft, etwa auch bei der berühmten „Rothaarigen“ – einem Hauptwerk der Sammlung der Berlinischen Galerie – ist dieser kühlen Schönheit eine männliche Assistenzfigur beigegeben. Halb verdeckt von ihrer Stola sehen wir ihn dicht hinter ihr stehend, doch ihre Köpfe – seiner verschattet, ihrer hell beleuchtet – sind auf einer Linie angeordnet. Während sie mit unbewegtem Gesichtsausdruck geradeaus blickt, sieht ihr Begleiter sie an, wie um ihr leise etwas zu sagen. Und wie so oft ist es ein anonymer Redakteur der Satirezeitschrift „Simplicissimus“ (erschienen im Heft 21, 32. Jg., Augst 1927, Farbabb. S. 288, bez.: Der Tenor), der in seiner bewusst zweideutigen Unterzeile folgende Konversation erfindet: „Donnerwetter, Gnädigste, Ihr Gatte als Siegfried – das ist ein Mann!“ – „Als Gatte ist er leider nur ein Sänger.“ Das Besondere an diesem Aquarell ist aber nicht die redaktionelle Blickvorgabe oder das Motiv des bürgerlichen Paars im Theater, das bei Mammens Gesellschaftsszenen dieser Jahre mehrfach vorkommt, sondern die freie, malerische Verwendung der Aquarelltechnik. Hier überwiegt nicht der spitze, freche Strich der Zeichnerin, sondern die Körper und Gesichter der beiden Protagonist*innen treten aus den subtil abgestuften Farbflächen heraus. Nur wo unbedingt nötig, führt der Bleistift die Kontur, wie etwa bei den Fingern an der Brüstung, und sorgt für jene „Delikatesse“, von der Kurt Tucholsky 1929 in der „Weltbühne“ schwärmte.