Grandes Dames

Mit Uraufführungen von Virginie Brunelle, Beating / Eric Gauthier & Andonis Foniadakis, Electric Life / Marco Goecke, Infant Spirit / Helena Waldmann, We Love Horses
Eine Produktion von Theaterhaus Stuttgart
Virginie Brunelle, Beating ist eine Koproduktion von Danse Danse (Montréal). Gefördert von der Initiative New Chapter des Canada Council for the Arts


Nach wie vor gilt: Wer als Choreographin in der Welt des Tanzes ganz nach oben kommen will, muss doppelt so gut sein und doppelt so leidensfähig wie die männlichen Kollegen. Mindestens. Höchste Zeit also für ein Programm, das die „women of dance“ würdigt. Die vier Uraufführungen der Abschlusspremiere der Spielzeit 2017/18 tun dies auf ganz unterschiedliche Art. Zwei Stücke, eines von Marco Goecke, eines von Gauthier & Foniadakis, erweisen zwei weiblichen Ikonen des Tanzes ihre Reverenz. Zwei Stücke stammen von Choreographinnen: Eine „Grande Dame“ ist die profilierte deutsche Tanzregisseurin Helena Waldmann ebenso wie die Frankokanadierin Virginie Brunelle, Choreographin und Leiterin ihrer eigenen Compagnie Virginie Brunelle. Denn mit jedem ihrer Stücke gestalten und verändern sie die Tanzwelt von heute, fortlaufend und unwiderruflich…

Heimvorteil: Virginie Brunelle stammt aus Québec, dem französischsprachigen Teil Kanadas, der so erfolgreiche Choreographinnen wie Marie Chouinard und Louise Lecavalier hervorgebracht hat. Das tanzaffine Umfeld hat Virginie Brunelle offensichtlich bestärkt, früh auf eigenen Beinen zu stehen. Mit nur 26 Jahren gründete sie 2009 ihre eigene Company und zählt seither zu den Hoffnungsträgerinnen des kanadischen Tanzes. Unverwechselbar machen ihren Stil vor allem drei Elemente: die geradezu akrobatische Körperbeherrschung ihrer Tänzerinnen und Tänzer, die starke, ans Kino erinnernde Ästhetik und die innovative Verschmelzung von klassischem und zeitgenössischem Bewegungsvokabular. Virginie Brunelle freut sich sehr über die Einladung ihres Landsmanns Eric Gauthier. Denn obwohl die Compagnie Virginie Brunelle schon häufig in Europa tourte, kann die Choreographin nun zum ersten Mal für ein europäisches Ensemble kreieren. Mit ihrem poetischen neuen Stück Beating begibt sie sich auf die Suche nach der Wahrheit der Gefühle und stellt ihre Protagonisten auf eine existentielle Probe. Vier Tänzerinnen und vier Tänzer durchleben Liebe und Leid, Anziehung und Konflikte. Denn nur, wer die Banalitäten des Alltags hinter sich lässt, kann endlich auf sein eigenes Herz hören.

Die Kooperation mit Helena Waldmann führt Gauthier Dance auf bislang unbekanntes Terrain. Denn der Tanz-Regisseurin geht es nicht nur um das Tanzen. Sie bringt Bewegung immer in Zusammenhang mit aktuellen gesellschaftspolitischen Themen. Die Beschäftigung mit Disziplinierung und Unterwerfung zieht sich dabei wie ein roter Faden durch ihre Arbeit, auch in ihren beiden viel beachteten letzten Stücken. Made in Bangladesh handelte von der Ausbeutung in der Textilindustrie – und in der vermeintlich so freien Welt des Tanzes. In Gute Pässe Schlechte Pässe, koproduziert von COLOURS 2017, forderten sich zwei Ensembles gegenseitig heraus: eine zeitgenössische Tanzkompanie und eine Artistengruppe des Nouveau Cirque, getrennt durch eine menschliche Mauer. Dort fragte Helena Waldmann nach der Bewegungsfreiheit, die der Pass uns gibt oder nimmt. Nun geht Waldmann den nächsten logischen Schritt: In We Love Horses konfrontiert sie die Freiheit der Bewegung mit der Domestizierung nicht nur von Pferden: 148 neue Gesetze werden im Schnitt pro Jahr in Deutschland verabschiedet, damit wir uns zügeln, uns an die Kandare nehmen und in die Hufe kommen. Kurzum: Wir lieben die Peitsche.

Initialzündung: Es waren die Aufführungen und die Inspiration durch die legendäre Kompanie in seiner Heimatstadt, die den gebürtigen Wuppertaler Marco Goecke zum Tanz finden ließen. Persönlich traf er die Pionierin des modernen Tanztheaters nur wenige Male. Für seine Karriere spielte sie dennoch eine entscheidende Rolle, selbst als er schon längst nicht mehr in Wuppertal lebte. Denn sie lud den noch jungen Choreographen 2004 mit gleich zwei Stücken,Blushing und Mopey, zu ihrem Festival 30 Jahre Tanztheater Wuppertal ein. Noch heute spricht Goecke von der immensen Ermutigung, die dieser Vertrauensvorschuss für ihn damals bedeutete. Für Grandes Dames entwirft Goecke ein Solo mit dem Titel Infant Spirit. Die Vorfreude bei Gauthier Dance ist groß! Schließlich hat Goecke der Company in den letzten Jahren nicht nur zwei tolle Erfolge beschert: I Found a Fox für den Tänzer Eric Gauthier und das vielfach ausgezeichnete NIJINSKI-Ballett, mit dem Gauthier Dance weltweit tourt. Ab dem neuen Jahr wird Marco Goecke dem Theaterhaus als Artist-in-Residence auch ganz offiziell verbunden sein.

Electric Life heißt die vierte Arbeit für das Grandes Dames-Quartett. Sie verbeugt sich vor einer Tänzerin und Choreographin, die Eric Gauthier schon bewunderte, als er noch in Toronto auf die Ballettschule ging: Louise Lecavalier. Die langjährige „Frontfrau“ von La La La Human Steps und Chefin ihrer eigenen Kompanie Fou glorieux war im Sommer 2017 beim zweiten COLOURS-Festival mit und in ihrem Stück Battleground zu erleben – eine Performance von einer derartigen Power und Besessenheit, dass der reine Anblick die Zuschauer völlig erschöpft entließ. Für Gauthier – und für Co-Choreograph Andonis Foniadakis– verkörpert Louise Lecavalier die pure Energie des Tanzens. Und so steht als Motto über seinem Stück das in zahllosen Sprachen wiederholte „Je suis la danse“ – „Ich bin der Tanz“. Wobei Gauthier in seinem leidenschaftlichen Duett Louise Lecavaliers Zeit mit La La La Human Steps thematisiert, während die Gruppenchoreographie von Andonis Foniadakis eher Lecavaliers eigene Projekte aus der jüngsten Vergangenheit berührt. Foniadakis bewundert die beinahe abstrakte und dennoch vor Hochspannung vibrierende Intensität dieser Arbeiten, die sich auf sehr radikale Weise mit Bewegung auseinandersetzen. Musikalisch lässt sich Electric Life von den 80-er Jahren inspirieren, unter anderem mit einem Song von David Bowie – Louise Lecavaliers Bruder im Geiste. Eine Zeile ausMoonage Daydream scheint auf den Punkt zu bringen, was Lecavalier mit Bowie verband und was sie bis heute ausstrahlt: „I’m a space invader“ – eine Künstlerin, die seit jeher so wirkte, als komme sie von einem anderen Stern.

Künstlerische Koordination Bühne und Kostüme: Gudrun Schretzmeier
Technische Produktionsleitung: Mario Daszenies
Produktionsleitung: Alexandra Brenk
Ballettmeister: Guillaume Hulot, Takako Nishi, Louisa Rachedi
Tanz: Garazi Perez Oloriz, Anna Süheyla Harms, Rosario Guerra, Anneleen Dedroog, Sandra Bourdais, Maurus Gauthier, Luke Prunty, Alessio Marchini, David Rodríguez, Alessandra La Bella, Nora Brown, Francesca Ciaffoni, Jonathan dos Santos, Réginald Lefebvre, Barbara Melo Freire, Theophilus Veselý

Theaterhaus Stuttgart, T3
Tanzprofil am Montag, 2. Juli 2018 um 19:00 Uhr

Theaterhaus Stuttgart, T1
Premiere am Donnerstag, 12. Juli 2018 / Freitag, 13. Juli 2018 / Samstag, 14. Juli 2018 – jeweils um 20:00 Uhr / Sonntag, 15. Juli 2018 um 19:30 Uhr / Mittwoch, 18. Juli 2018 / Donnerstag, 19. Juli 2018 / Freitag, 20. Juli 2018 / Samstag, 21. Juli 2018 – jeweils um 20:00 Uhr / Sonntag, 22. Juli 2018 um 19:30 Uhr