Die Verfügbarkeit von Smartphones und Social-Media-Plattformen wandelte die Welt der Bilder in den 2000er-Jahren auf radikale Weise. Der sogenannte »user generated content« hat den öffentlichen Raum des politischen und gesellschaftlichen Handelns, die sozialen Beziehungen und die Kunst verändert. Mit der Ausstellung »Dieter Hacker. Alle Macht den Amateuren. 1971–1984« erweitert das ZKM den Blick auf dieses Phänomen durch eine historische Perspektive.
1971 gründete der Künstler Dieter Hacker in Berlin eine Produzentengalerie und stellte durch Ausstellungen und Publikationen die Möglichkeit einer neuen »Volkskunst« zur Diskussion: die Kunst der Amateure.
»Jeder könnte ein Künstler sein« lautete der Titel der ersten Ausstellung der von Dieter Hacker im April 1971 in Berlin-Wilmersdorf gegründeten Produzentengalerie. Die kritische Paraphrase auf Josef Beuys’ Formulierung »Jeder Mensch ist ein Künstler« deutete das Programm der kommenden 13 Jahre an: Die 7. Produzentengalerie, die gleichzeitig Wohnraum, Atelier, Ausstellungsraum und Verlag war, sollte das von Markt und Staat unabhängige »Medium« sein, um sowohl die Arbeitsbedingungen bildender Künstler zu analysieren und die gesellschaftliche Funktion von Kunst zu klären als auch mögliche Alternativen im Sinne einer neuen »Volkskunst« vorzustellen.
Mit der Ausstellung »Dieter Hacker. Alle Macht den Amateuren. 1971–1984« präsentiert das ZKM nun erstmals eine Auswahl der Installationen, Publikationen und Filme, die Dieter Hacker allein oder in Zusammenarbeit mit Andreas Seltzer für die Produzentengalerie konzipierte. Sie zeigen ausschließlich Fotografien, Texte, Zeichnungen und Objekte von Amateuren – von der Zeitungsausträgerin Frau B. bis zum Präsidenten der Vereinigten Staaten Ronald Reagan.
Die von Hacker vorgestellte »Volkskunst« stand nicht für die Sehnsucht nach einer vorindustriellen Tradition oder für Hobbys, die der Erholung vom Arbeitsalltag dienen, ganz im Gegenteil. Hacker sah in der »allgemeinen Kreativität« Formen des »fantasievollen Widerstands« gegen den Status quo und Voraussetzung für den Entwurf möglicher Welten.
Was die Volkskunst mit den großen Werken der Kunst verbindet, so die These Hackers, ist der Widerstand gegen die gültigen Normen. Der Unterschied zur professionellen Kunst besteht darin, dass sie nicht die Absicht hat, ästhetische Gebilde zu schaffen: „Die ästhetischen Mittel werden vielmehr als Mittel benutzt, um das gesetzte Ziel zu erreichen. Als einen entscheidend für die Entwicklung der allgemeinen Kreativität betrachtete Hacker die Strategien der Veröffentlichung: »Jeder hat seine Meinung. Solange er sie für sich behält, bleibt sie folgenlos«. Erst die Veröffentlichung ermögliche die Überprüfung und Weiterentwicklung des eigenen Standpunktes und mache »Individuen zu souveränen gesellschaftlichen Wesen«.
Angesichts aktueller Praktiken wie Instagram, Twitter und Snapchat sowie der »maker culture« stehen die von Hacker formulierten Thesen wieder zur Diskussion. Die Utopie, alle Fotos und Gedanken jederzeit zu veröffentlichen, hat sich erfüllt. Welche Konsequenzen hat dies für Gesellschaft und Demokratie? Wie hat die Ökonomisierung aller Lebensbereiche die gesellschaftspolitische Wirkung der erhofften »allgemeinen Kreativität« verändert? Welche Auswirkungen hat die Amateurkultur der sozialen Medien auf unser historisches Konzept von Kultur?
Die aktuellen Erfahrungen verändern den Blick auf die Amateur-Kultur der 1970er-Jahre, die historische Perspektive erlaubt eine differenzierte Analyse der Phänomene der Gegenwart.