Am 11. November 1933 wurde Jerzy Grotowski in Rzeszow, Polen geboren.
In der Zeit von 1951-1955 widmete er sich dem Schauspiel Studium an der Fakultät für Schauspielkunst der Staatlichen Schauspielschule in Krakow.
Ein abgeschlossenes Schauspiel-Studium allein reichte dem angehenden Künstler jedoch bei weitem nicht aus. Nach dem abgeschlossenen Schauspiel-Studium war sein Wissensdrang über all jene Dinge, die mit Schauspielkunst und Schauspieltheorien zu tun hatte noch lange nicht gestillt.
So kam es, das er im selben Jahr das Regie-Studium am Staatlichen Institut für Theaterkunst GITIS
„A.W. Lunatscharski“ in Moskau begann. Während der Studienzeit übte er zugleich eine Assistenz an der Fakultät für Regie an der Staatlichen Theaterhochschule „L. Solski“ in Krakow aus.
Im Sommer des Jahres 1956 reiste Grotowski nach Mittelasien, um sich dort durch die Einflüsse einer vollkommen anders gearteten Kultur inspirieren zu lassen. Sein Ziel war es, die Menschen dort kennen zu lernen – in ihren Lebensgewohnheiten, ihrer Religion, ihrem Denken und Handeln, ihr Agieren und Reagieren im Alltag sowie in extremen Situationen. Wie denken die Menschen dort über sich selbst, wie über andere Nationalitäten. Sind sie zufrieden mit sich, mit ihrem Leben. Was sind ihre Träume, wo sehen sie sich heute und wo in zwanzig Jahren. Dies sind nur wenige Punkte von einem breiten Sammelsurium jenes Wissens was Grotowski dort erlangen wollte. Allem voran der Drang, dort auf etwas zu stoßen was sein Wissen über Kunst und Darstellung erweitern könnte.
Seine Teilnahme an den Theaterseminaren von Jean Vilar und Emil Frantisek Burian dienten ebenfalls der Inspiration und Weiterbildung des jungen Künstlers.
Im Rahmen seiner Reisen, die einzig und allein seinem Interesse an der Kunst unterlagen, lernte er Juri Alexandrowitsch Sawadski in Moskau kennen.
Juri Alexandrowitsch Sawadski war einst Schüler von Konstantin Sergejewitsch Stanislawski und dessen Schüler Jewgeni Wachtangow. Jerzy Grotowski war das große Glück wiederfahren bei Juri Alexandrowitsch Sawadski die Stelle des Regie-Assistenten zu übernehmen.
Im Sommer des Jahres 1959 war Grotowski gerade einmal 26 Jahre alt – der Beginn des wohl größten Abenteuers seines Lebens: sein „Opoler Abenteuer“, „das Theater der 13 Reihen“.
Mit dem „Theater der 13 Reihen“ will Grotowski seine eigene Vision von einem ganz besonderen, einem einzigartigem Theater in der Welt der Kunst verwirklichen.
Jerzy Grotowski verfolgt mit der Verwirklichung seines Traums von einem eigenen Theater folgendes Ziel: Das Theater darf nicht ausschließlich eine künstlerisch – ästhetische Funktion erfüllen.
Seiner Ansicht nach müssen Regisseure und Schauspieler auf der Bühne Mut zur Hässlichkeit, Mut zu einer Darstellung fern ab von ästhetischen Leitfäden zeigen können. Die reine Ästhetik im Rahmen eines künstlerischen Entwicklungsprozess darf nicht der primäre Hauptgrund sein um Kunst auf der Bühne zu präsentieren. Jerzy Grotowski widerspricht den „artistischen“ Tendenzen in der Welt der Kunst und sucht eigene Richtlinien für eine kreative, schöpferische Arbeit.
In Ludwik Flaszen fand Grotowski einen Gleichgesinnten, einen Bruder mit ähnlichen Ansichten, ähnlichen Vorstellungen, sowie ähnlichen Leitfäden in vielen Belangen der Kunst.
Der am 4. Juni 1930 in Krakow geborene Ludwik Flaszen ist konform mit Grotowskis Auffassungen von Kunst und Theater. Diese Gemeinsamkeiten habe beide sehr früh erkannt. Das ihre gemeinsame Affinität für ein anders geartetes Theater nicht nur eine gemeinsame Vision darstellt, sondern das diese Vision Wirklichkeit werden sollte, daran wollten beide arbeiten.
Ludwik Flaszen, in der Spielzeit 1954/55 literarischer Leiter des J.-Slowacki Theaters in Krakow, gehörte bereits zu dieser Zeit zu den populärsten Theater und Literaturkritikern Polens.
Sie beide vertraten folgende Auffassung über die Funktion des Theaters in der Kunst:
„Das Theater ist eine anachronistische Kunst, die hinter anderen künstlerischen Disziplinen, vor allem hinter der Poesie und der bildenden Kunst, zurückbleibt.“
Im Sommer des Jahres 1959 legen Jerzy Grotowski und Ludwik Flaszen den Grundstein für einen langwierigen Schaffungsprozess, der ausschließlich einem Leben in der Kunst gewidmet ist.
Die Opoler Behörden übertragen ihnen „das Theater der 13 Reihen“.
Innerhalb kürzester Zeit war es Flaszen und Grotowski gelungen eine vollkommen anders geartete Form von Theater zu kreieren, auch wenn zunächst einmal alles beim Alten blieb. Doch die von Ihnen erdachte Vision sollte in schnellster Zeit Wirklichkeit werden. Die Rolle des künstlerischen Leiters übernahm Jerzy Grotowski, Ludwik Flaszen übernahm die literarische Leitung. Für den Anfang beschäftigte das Theater acht Schauspieler, diese kamen genau wie die beiden Leiter der Institution aus Krakow.
Um eine auf lange Sicht funktionelle Arbeit zu etablieren setzte Jerzy Grotowski folgende grundlegende Punkte voraus! – Die Garantie für Planstellen für Schauspieler, sowie den literarischen Leiter. Die selbstständige Auswahl der Besetzung sowie das Budget, das eine freie kreative Arbeit ohne Einschränkungen durch finanzielle Engpässe ermöglicht. Dabei bildet der letzte Punkt der von Grotowski aufgeführten Punkteliste den primären Grund. Es ist einer künstlerischen Institution nur schwer möglich hochwertige Arbeitsergebnisse zu erzielen, wenn deren Mitglieder ständig mit finanziellen Sorgen zu kämpfen haben.
Der Raum für eine kreative und schöpferische Arbeit wäre somit nicht mehr gewährleistet.
Da Grotowski diese Problematik bereits vertraut war, sorgte er dafür das finanzielle Engpässe für sein Theater auch in Zukunft nicht existent werden.
Der Künstler solle sich frei in seinem Denken und Handeln schöpferisch und intellektuell entwickeln können. Grotowski weiß, nur so ist es möglich die künstlerische Arbeit in einer derartigen Institution auch auf lange Sicht zu etablieren.
Jerzy Grotowski prägte den Begriff des „suchenden Berufstheaters“.
Auf den Titel „Berufstheater“ legten beide Leiter der Institution gesteigerten Wert, denn dieser Titel war für eine künstlerische Institution nur schwer zu erlangen.
Dem „suchenden Berufstheater“ wurden zahlreiche finanzielle Zuwendungen und Planstellen für Schauspieler gewährt. Die freie Entscheidung über die Auswahl des Repertoires, sowie die freie Entscheidung über die
Auswahl der Mitarbeiter wurden ebenfalls garantiert.
Jerzy Grotowski ist nicht nur ein Ausnahmetalent als Inszenator, ihm ist mit der Schaffung seines Theaters ein Ausnahmefall einer künstlerischen Institution gelungen.
Nach einem lang andauernden Entwicklungsprozess war es ihm gelungen, seine Form eines neuen Theaters weiter zu entwickeln. Das Theater „der 13 Reihen“ erwarb den Status eines experimentierenden Instituts.
Die gesamte schöpferische Tätigkeit Jerzy Grotowskis strebte zu diesem, seinem Hauptziel „dem Zustand der fortwährenden Geburt“.
Die schöpferische Arbeit entsteht durch eine permanente Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst, sowie dem vorherigen Geschehen, der vorhergehenden Etappe. Allem voran der Drang nach dem Erkennen und Entdecken immer neuer Bereiche in der Kunst und im Leben. Der Schauspieler trägt die Neugier eines kleinen Kindes in sich. Mit dieser Neugier will er alles entdecken, alles erleben. Dies gilt nicht nur in sämtlichen Fragen der Kunst sondern auch im alltäglichen Leben. Ein wirklicher Künstler kann sich niemals mit dem bisher erreichten zufrieden geben, sich auf seinen Lorbeeren ausruhen. Es ist das Streben nach immer größeren Herausforderungen, denen man sich auf der Bühne vor seinem Publikum stellen muss – und auch für sich selbst, auf der Bühne des eigenen Lebens.